von
Bruna Emanuela Manai (Projekt und Koordination)
Vilma Cerón Palomino Haydée Winkler Mario Müller
Höraktion im Rahmen der Moabiter Kulturtage 2007
Fr. 29. Juni 12 Uhr + 17 Uhr
Sa. 30 Juni 17 Uhr
Ort: Freigelände SOS Kinderdorf, Waldstraße 23/24, Berlin
Radiosendung im Offenen Kanal
11. Juli 2007, 22:00 Uhr
20. Juli 2007, 17:00 Uhr
Replay als Höraktion in Rahmen der Moabiter Kulturtage 2008
29. Juni 2008, 14-19 Uhr
Ort: Internationaler Dodoverein e.V.Kunst - und Kulturtreff in Moabit - Art Kunst
Huttenstr. 30, 10553 Berlin
Als Ort der Verbannung durch den biblischen Namen gekennzeichnet, ist
Moabit, wie vor drei Jahrhunderten, heute auch ein Wohngebiet der Migranten,
mit dem Unterschied, dass die Einwanderer von heute aus allen Herrenländern
und nicht nur aus Frankreich kommen.
Auf dieser CD sind, wenn nicht alle, so aber der größte Teil
der Sprachen, die in Moabit zur Zeit gesprochen werden, zu hören.
Die CD ist das Ergebnis einer kleinen Feldforschung innerhalb Moabits.
Die drei Autorinnen hatten die Absicht, ein akustisches Bild des Stadtviertels
zu erzeugen, in dem möglichst viele der dort gesprochenen Sprachen
und möglichst viele Stimmen der Einwohner und Wanderer Moabits festgehalten
würden. So sollten einige die eigene Stimme und die meisten die eigene
Sprache, wenn auch nur flüchtig, wieder erkennen können. Gleichzeitig
sollte der Zuhörer sich seiner sprachlich reichen Umgebung gewahr
werden.
Alle Sprachen sollten zur Geltung kommen, ihrer Musik, ihrem ureigenen
Rhythmus und ihren ästhetischen Vorzügen Rechnung getragen werden.
Dadurch sollte auch die aktuelle Sprachkonstellation als Teil der Geschichte
Moabits dokumentiert werden.
Mit dem Klang der Sprachen aber werden automatisch auch die Inhalte der
Sprachdokumente verschiedenster Art festgehalten.
Die Aufnahmen sind auf der Straße, auf Fußballplätzen,
in Läden, Cafés, Vereinen, Kirchen, Privatwohnungen aufgezeichnet
worden. Es ist ein buntes Bild entstanden, in dem Moabit als ein sehr
lebendiges und kulturreiches Viertel erscheint.
Wenn es hier praktisch kein Theater, kein Kino, keinen Konzertsaal gibt,
so wird trotzdem viel gesungen, musiziert und Theater gespielt, aber meistens
nicht von beruflichen Künstlern. Unsere Aufnahmen spiegeln die diffusen
künstlerischen Kompetenzen wieder, die die Bürger verschiedener
Herkunft mit sich bringen, wie z.B. das türkische traditionelle Abschiedslied
der jungen Braut an ihre Mutter, die mexikanischen Lieder am Tag der Toten,
die afrikanischen Gesänge zu Trommelmusik, die Rezitation der 99
Namen Gottes durch arabische Kinder, die kurdischen Wiegenlieder und vieles
mehr.
Will man in diesem Stadtviertel ein ernsthaftes Gespräch führen,
so kommt man beinahe unvermeidlich auf Themen wie Sehnsucht, Migrationsgeschichte,
Rassismus, Fragen über Demokratie und Beziehungen zwischen erster
und dritter Welt. Solche Themen tauchen in Vereinen, Veranstaltungen,
aber auch auf der Straße, in Privatgesprächen, in Liedern auf.
So wurde das Material hauptsächlich nach dem Inhalt aufgeteilt.
Die Kapitel, die daraus entstanden sind, erhalten die folgenden Titel:
Lautstärke einstellen | |
Einführung | |
1- Fado y muerte | |
2- Religion, Alltag, Philosophie | |
3- Exil und Demokratie | |
4- Erzählungen (2 Teile) |
Als Beispiele folgen die Beschreibungen der Kapitel 1 und 3
Kapitel 1: Fado y muerte
In diesem Kapitel, das die Länge von 15 Minuten hat, sind folgende Sprachen zu hören:
Spanisch aus Perú, aus Chile, aus Spanien, aus Mexiko | |
Portugiesisch aus Portugal | Deutsch aus Berlin |
Englisch aus den USA | Thai |
Vietnamesisch | Kreol aus den Inseln Mauritius |
Türkisch | Chinesisch Mandarin |
Französisch | Lukanisch (Dialekt aus Süditalien) |
Spanisch wurde im spanischen Verein El Patio aufgenommen, ein Mal während einer Literatur-Werkstatt und das zweite Mal am 2. November, dem Tag der Toten. Junge Mexikaner rezitieren selbst geschriebene Texte, die auf die vor-hispanische religiöse Überlieferung zurückgreifen und begleiten sich mit alten aztekischen Instrumenten, wie Bambusflöten, Muscheln und Trommeln.
Thai wurde im Thailändischen Verein Puer Thai aufgenommen. Thema der Unterhaltung und des Gesanges sind die Erinnerungen an die Heimat.
Die türkische Sprache ist ebenfalls in einem Verein erhascht worden, im Bacim e.V. Die türkische Frauen versammeln sich dort um ihre Volkslieder im Chor zu singen, und es werden die Hennatage gefeiert. An einem von diesen Tagen wurde das Herz zerreißende Abschiedslied der jungen Braut an ihre Mutter gesungen, das hier zu hören ist.
Im Verein Dodo wurde das Kreol der Inseln Mauritius registriert, während des Jahrestreffens der Mauritianer, das dort stattfindet.
Die Lieder auf Portugiesisch aber wurden in einem Restaurant aufgenommen, dessen Inhaberin an manchen Abenden zur Fado-Sängerin wird und dabei von den portugiesischen Gästen begleitet wurde.
Andere Sprachen sind in Lokalen oder Privatwohnungen, auf Festen und zu anderen gesellschaftlichen Angelegenheiten aufgenommen worden.
Während eine vietnamesische Frau ihr schweres Schicksal erzählt, diskutieren die Franzosen mit den Deutschen über Tischmanieren; ein junger Chinese ergibt sich verstohlen der Rezitation seiner liebsten Gedichte, die Süditaliener tauschen Sprüche und Volksweisheiten und der US Amerikaner versucht, im Durcheinander eines Festes, seine Träume zu rekonstruieren.
Kapitel 3: Exil und Demokratie
Das Kapitel dauert 18 Minuten und enthält folgende Sprachen:
Kurdisch | Arabisch aus Syrien |
Indonesisch | Deutsch |
Amharisch aus Äthiopien | Yoruba aus Nigeria |
Italienisch aus Süditalien | Italienisch aus Norditalien |
Lettisch | Ungarisch |
Bengalisch aus Bangladesch | Portugiesisch aus Portugal |
Akan aus Ghana | Englisch aus Ghana |
Duala aus Kamerun | Griechisch |
In diesem Kapitel sind hauptsächlich Aufnahmen gesammelt, die mit Themen wie Auswanderung, Rückkehr, Sehnsucht, Demokratie, Rassismus und Kolonisation zu tun haben.
Migranten aus unterschiedlichen und weit auseinander liegenden Ländern wie Syrien und Indonesien erklären, sie seien nach Deutschland gekommen, um einer Diktatur zu entfliehen und in einem demokratischen Land zu leben.
Während der italienische Gastronom, der mit seinem bereits legendären Koffer aus Pappe ankam, zufrieden mit seinem Schicksal ist, träumen die afrikanischen Migranten noch von einer Welt, wo alle Menschen gleichwertig sind.
Den Portugiesen gelingt es, ihre Melancholie in Poesie zu verwandeln, wie das hier aufgenommene autobiografische Lied in der Art des Fado beweist.
Ein Vater aus Bangladesh unterrichtet seine in Berlin geborenen Kinder über Familien und Landeskunde der Heimat.
Freunde aus Ghana unterhalten sich in einer Privatgesellschaft über die Kolonialgeschichte ihres Landes, in einer Mischung aus Deutsch, Englisch und Akan, ihrer Muttersprache.
Die Chorgesänge wurden in einer katholischen Kirche während einer ungarischen Messe und in einer evangelischen Kirche während einer afrikanischen Gospelvorstellung aufgenommen.